… hätten heute die großen Olympischen Spiele in Erbstetten beginnen sollen. Aber –Hand aufs Herz – wer kennt eine Baustelle irgendwo in Deutschland, die rechtzeitig fertig geworden wäre?
Ja, natürlich ist schon seit Tagen hier am Berg bei Erbstetten ein Riesenauftrieb: Die Unterkünfte stehen, die Organisation ist angelaufen, selbst die Verpflegung klappt tadellos – wie gebuttert, sozusagen. Die jahrelangen akribischen Vorbereitungen fanden heute ihren vorläufigen Höhepunkt mit der Anreise der Olympioniken, also der Spieler und Sportlerinnen. Gegen 15:15 Uhr fuhren Busse und Transportfahrzeuge vor, Materialanhänger entluden ihre vielfältige Fracht.
Eine unübersehbare Menge gutgelaunter, erwartungsfroher junger Leute aus vielen Kontinenten machte sich auf die Suche nach den Stadion-Anlagen. Nur – die sind halt leider noch nicht ganz fertig. Solche Terminverschiebungen kennen wir ja vom Stuttgarter Bahnhof oder dem einen oder anderen Flughafen.
Also, da gibt sich die Weltspitze des internationalen Sports ein Stelldichein und die Sportstätten sind – sicher auch irgendwann fertig. Der guten Stimmung tat das zum Glück keinen Abbruch. Man kennt sich vom Olympischen Vortreffen in Ebersbach und teilweise auch von früheren Zusammenkünften und sportlichen Großereignissen. Dementsprechend locker begrüßten sich die jungen „alten Bekannten“ und in der Weltsprache „Schwäbisch“ fliegen Scherze und Freundschaftsbekundungen über die Plätze. Aber auch manch alte Gegnerschaft wird wieder belebt. Man darf gespannt sein auf atemberaubende Wettkämpfe und persönliche Duelle der Weltelite.
Auch ohne Stadien und Schwimmhallen waren die Regeln der olympischen Disziplin schnell erklärt und abgesprochen und die Trainer, Spielbetreuer, Mannschafts-Coachs und Fitnessberater haben sich ihren Schützlingen vorgestellt.
Nach der gemeinsamen Erkundung des Olympischen Dorfes mit dessen weit gesteckten Grenzen war Stärkung angesagt: Proteine, wertvolle Fette und Ballaststoffe, also Scheibenbrot mit Wurst oder Käse, dazu verschiedene Gemüse als Rohkoststicks. Und – der letzte Schrei in der Sportler-Ernährung: Kalorien in flüssiger Form zum blitzschnellen Abrufen bei Bedarf, in Fachkreisen auch bekannt als Zitronentee.
Der Tag hätte damit ruhig zu Ende gehen können, wenn nicht der olympische Größenwahn des Gastgeberlandes zugeschlagen hätte. Wir erfuhren von diesen drohenden Problemen rein zufällig durch empörte Umwelt-Aktivisten. Für den Tribünenbau sollte der ganze Wald gefällt werden, ohne Rücksicht auf die seltenen und streng geschützte Urwaldtiere. Und keiner hatte mehr Zeit, die Tiere einzufangen und umzusiedeln. Die Umsetzung von unzähligen Fledermäusen und Eulenvögel ist schon nicht einfach. Aber einem Orang-Utan seinen Dschungel unterm Hintern wegzuroden ist sicher noch schwieriger. Und schließlich waren da auch noch einige Jaguare – nicht solche, die ihren Biss aus starken Motoren beziehen, sondern echte, die mit den Zähnen zubeißen. Und zu allem Überfluss gab’s noch gefährliche Wilderer. Vielleicht hatten die Bauleute ja auch bloß Angst.
Nicht so unsere Olympioniken: Trotz zunehmender Dunkelheit und ohne Rücksicht auf Stiche von Schnaken, Bisse von Ameisen oder eben Jaguaren wurden die Tiere eingefangen und umgesiedelt. Und als die ersten Motorsägen ertönten war der Urwald leer. Die Heldentaten der olympischen Wettkämpfer waren schon in uralten Zeiten legendär.
Bereits vor tausenden von Jahren galten die Kämpfe bei Olympia als der Mittelpunkt der zivilisierten Welt. Die Sieger erhielten nicht nur Kränze aus Olivenzweigen sondern bekamen absoluten Kultstatus und wurden in Liedern, Gedichten und Statuen verewigt.
Unsere Olympioniken schlafen inzwischen friedlich den großen kommenden Ereignissen entgegen. Die glitzernden Sport-Stars unter uns oder die glänzenden Sterne über uns werden weltweit wahr genommen. Über alle Kontinente, alle Grenzen, alle Streitigkeiten hinweg. Was macht da schon ein noch nicht fertig gestelltes Stadion?