Der Geist der friedlichen Wettkämpfe zur Völkerverständigung wurde heute übel auf die Probe gestellt: Die Olympischen Ringe sind verschwunden! Nicht nur einer – nein alle! War das die Konkurrenz aus Paris oder womöglich ein anderes olympisches Zeltlager?

Unser kriminalistischer Scharfsinn zeigte bei der näheren Untersuchung der Befestigungselemente: abgeschnitten mit einem mäßig scharfen einseitig wirkenden Schneidewerkzeug – möglicherweise ein japanischer Walfischausweider oder die rituelle Tötungsklinge der alten Inka-Kultur. Oder eben ein Fahrtenmesser…

Da stellt sich natürlich die Frage: Wer macht denn so was? Wir waren noch dabei Inkas und Walfänger gegeneinander abzuwägen, als eine junge Sportlerin das Bekenner-Schreiben entdeckte. Worte und Buchstaben aus überörtlichen, aber deutschen Zeitungen ausgeschnitten, grammatikalisch nicht ganz einwandfrei aber im Sinn doch klar zu erkennen: Man sieht sich in Ehingen!

Was blieb uns denn anderes übrig, als den Tag frei von Wettkämpfen zu stellen und alles dran zu setzen, diese Freveltat aufzuklären und wieder gut zu machen. Leider ist der Weg nach Ehingen zu Fuß ziemlich anspruchsvoll. Kein Problem für die Marathonläuferinnen – aber wussten Sie, dass Kugelstoßer und Gewichtheber oft lausige Wanderer sind? Zum Glück hatte jemand eine Freundin, die einen Freund hat, der einen Busfahrer kannte. Eine Stunde später stand ein komfortabler Reisebus bereit, der uns einen guten Teil der Strecke mitnehmen konnte. Die Freundschaft reichte allerdings nicht bis Ehingen. Aber die letzten 5 km als Fußmarsch – für Olympioniken (innen oder außen) kein Ding.

Um einem aufkommenden Unwetter zu entkommen, wurde auf den letzten Metern eine geradlinige Strecke gewählt: Ein paar Meter neben den Bahngleisen entlang, schnell durch ein Loch im Zaun und direkt in die Tiefgarage neben einem Supermarkt, um dort gut versorgt von unserer Lagerküche den Regen abzuwarten.

Nach dem herzhaften Imbiss fühlten sich alle gestärkt und bereit für die nächsten Schritte, die nun zwangsläufig folgen mussten. Und die waren selbstverständlich…
arbeiten. Viel lieber hätten wir die frechen Diebe gefasst und vermöbelt, aber im Rahmen der friedlichen olympischen De-Eskalation und mangels anderer sich bietenden Möglichkeiten mussten wir halt irgendwie die geforderte Summe in Gold-Nuggets aufbringen. Das brachte unsere Olympioniken unversehens in Kontakt mit vielen interessanten Leuten. Ob man wilden Informant:innen Infos abjagen musste, kreative Tänze mit den Sambatänzerinnen bestehen durfte, einem etwas zu entspannten Hippie die Liebe in die Welt tragen konnte oder schöne Bilder auf die Straßen Ehingens malte, die Olympioniken kamen alle auf ihre Kosten! Diese Begegnungen und Aufgaben waren wohl eher die Art, um die man sonst vielleicht eher einen Bogen gemacht hätte. Doch schnell zeigte sich die skurrile Freundlichkeit unserer Unterstützer und dass „Arbeiten“ richtig Spaß machen kann.

Alles in allem hat uns dann die Auslösung unseres Olympiasymbols sogar noch einen richtig schönen Tag eingebracht. Bummeln, Shopping und ein Eis ließen uns auf die eigentlich für den heutigen Tag geplanten klassischen griechischen Kampf-Sportarten Boxen, Ringen und Stockfechten leichten Herzens verzichten. Schon im alten Griechenland kam es dabei nicht selten zu Verletzungen, sogar Todesfällen und das müssen wir hier am Berg ja nicht unbedingt haben.

Nachdem unsere Sportler „Ihre“ olympischen Ringe glücklich wieder hatten, hielt sich auch das Wetter nicht mehr zurück. Die Verfolgung der Ring-Diebe opferten wir unserem plötzlich neu erwachten Interesse daran, trocken zu bleiben und den Bus zurück nach Erbstetten zu bekommen. Der Regen erwischte uns dann doch noch, aber erst zurück im olympischen Dorf. Das warme Abendessen lies uns das Wetter und den anstrengenden Tag vergessen: Currygeschnetzeltes an Basmati mit sahniger Beilage aus marktfrischen Gemüsesorten.
Unter gleichmäßig heimeligen Regenrauschen schmausten die ausgehungerten Sportler:innen bis nach Einbruch der Dämmerung.

Eine lange Gute-Nacht-Runde beschloss diesen ereignisreichen, aber völlig wettbewerbslosen Tag. Immerhin hängen die olympischen Ringe wieder an ihrer angestammten Stelle und wir werden sie in den nächsten Nächten besser bewachen!